Der Himmel als Wille und Vorstellung Kulturgeschichten des Jenseits Der letzte Ernst klassischer theologischer Themen scheint mehr als alles andere für brillante, mit einem paradoxen Witz begnadete Titel gut. Bevor Jack Miles die Leserschaft mit seinem Riesenwerk «Gott. Eine Biographie» beglückte, ist dem amerikanisch-deutschen Autorengespann Lang/McDannell eine ähnlich ingeniöse Titelfindung gelungen: «Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens». In der englischen Originalausgabe klingt es noch prägnanter und paradoxer: «Heaven. A History». Die deutsche Fassung ist schon einmal 1990 in der «edition suhrkamp» aufgelegt worden. Mit der gebundenen Ausgabe visiert der Verlag jetzt eine sachgemäss längere Bücherzerfallszeit an. Weitgespannt «God. A Biography» und «Heaven. A History» das läuft auf dieselbe Provokation hinaus: Was für den Glauben «von Ewigkeit zu Ewigkeit» ist, wird historisiert, biographisch gefasst, unterworfen der allmächtigen Zeit, die der Goethesche Prometheus zum Herrn aller Götter und Menschen erklärte. Bei Lang/McDannell soll zu allem Überfluss auch noch eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens entworfen werden. Ja, was hätte denn das ewige Leben mit Kultur zu tun? Obwohl die Autoren keineswegs zu den Ungläubigen zählen, zeigen sie in der Tat nachdrücklich, wie kulturspezifisch, wie wechselnd die Vorstellungen vom himmlischen Leben sind. Und anderes als Vorstellungen haben zeitgebundene Wesen wie die noch lebenden Sterblichen von den letzten Dingen nun einmal nicht. Eine Ideen- als Kulturgeschichte, die sich zugleich als Geschichte einer himmlischen Sozietät versteht. Das gestattet es auch, die Forschungsperspektive umzukehren: Der Himmel wird dann zum Schlüssel für das geschichtliche Verständnis irdischer Gesellschaften. Ludwig Feuerbach mit seiner Rückübersetzung der Theologie in Anthropologie ist für die Autoren Inspirationsquelle und Provokation gleichermassen: «Wie der Mensch seinen Himmel denkt, so denkt er seinen Gott (. . .), nur dass im Himmel sinnlich ausgeführt wird, was in Gott nur Entwurf, Konzept ist. Der Himmel ist daher der Schlüssel zu den innersten Geheimnissen der Religion» so wie diese der Schlüssel zu den innersten Geheimnissen des Menschen und der Welt. Die Konstante im Wandel der Zeiten und Himmelsbilder scheint allein die zu sein, dass die meisten Sterblichen drüben oder tunlichst schon hüben in den Himmel wollen: der Himmel als Wille und Vorstellung. Lang/McDannell beschränken sich auf die Himmelsvorstellungen des christlichen Kulturkreises. Vorausgeschickt ist ein knappes Kapitel über die «Geburt dieses Himmels» in den semitischen Religionen, vor allem im Judentum. Das relativiert den Anspruch des Titels, den Himmel vorzustellen: Dieser ist um einiges weiter gespannt. Neben dem Versprechen der Ewigkeit ist die Weitgespanntheit sogar sein zweites, räumliches Charakteristikum nur zu verständlich, wenn man bedenkt, wie viele in ihm inzwischen Platz finden wollen, Milliarden und Abermilliarden, die allemal «grösseren Heere» und Chöre. Schillers und Beethovens «Millionen» sind längst abgetan; unter Einsamkeit leidet man im Himmel nicht . . . Für eine enzyklopädische Tour d’horizon des «Jenseits» im weltweiten Massstab bietet sich gleichzeitig die religionsphänomenologisch verfahrende, aber keine eigenständigen wissenschaftlichen Ansprüche erhebende Kompilation von Hans-Jürg Braun an. Der Autor glaubt an das alte theologische Argument des «consensus gentium», die Übereinstimmung der Völker als Wahrheitsbeweis, sozusagen eine demokratische Mehrheitsabstimmung mit den Flügeln. Aber dieser Glaube hat seinen Preis: die ewige Wiederkehr des Gleichen. In der Wirkung auf den Leser ist das nicht ohne Paradoxie: Öfters wünscht man, dass das ziemlich umständlich geschriebene Buch im Gegensatz zu dem ewigen Leben, für das es votiert, ein schnelleres Ende nehmen möge. Immerhin fehlt es gelegentlich nicht an freudigen Erweckungen. Im Jenseits der «Altvölker Indonesiens» etwa findet «eine Befragung darüber statt, ob die Seele ausreichende sexuelle Erfahrung bis zur Benutzung (!) der Prostitution nachweisen kann. Wer ein Leben lang keusch geblieben ist, darf nicht weiterreisen.» Keine guten Aussichten also für Zölibatäre, um so bessere für alle Wollüstlinge, die auch nicht mehr fürchten müssen, auf ihrer Jenseitsreise irgendwelchen Moralaposteln wiederzubegegnen. Wie die Indianer Südamerikas wissen, will man selbst im Jenseits nicht mit allen Menschen wiedervereinigt sein. Innerhalb des christlichen Rahmens ist das Buch von Lang/McDannell ebenso differenziert wie umfassend. Die Autoren haben fast alle primären Quellen studiert, die Zeugnisse der hohen theologischen, philosophischen und poetischen Literatur ebenso wie die der trivialeren. Von Jesus und Paulus über die Kirchenväter und die Scholastik, Renaissance und Reformation, über die geisterseherischen Träume Swedenborgs und die romantische «Liebe in der anderen Welt» wird der Bogen zu den ausschweifenden Himmelsphantasien des 19. Jahrhunderts und der schwindenden Bedeutung des Himmels in der Moderne mit ihrem «theologischen Minimalismus» gespannt. Für leidenschaftliche Himmelsliebhaber muss der Niedergang des Himmels etwas Deprimierendes haben. Weit mehr noch als der Gottes- scheint der Himmelsglaube vom Tod bedroht. Wenn die Theologie traditionell eine «Uranologie», eine Himmelslehre einschloss, so hält sich die erstere doch hartnäckiger. Aber die Autoren warnen, vermutlich zu Recht, vor allzu schnellen Todesanzeigen für den Himmel. Jedenfalls ist die Situation nicht zu vereinfachen. In den zeitgenössischen sektiererischen und spiritistischen Renaissancen des Weiterlebens nach dem Tode, die nach der Beobachtung von Hans-Jürg Braun fast alles simultan, global und enzyklopädisch versammeln, was die Geschichte sukzessive aufgehäuft hat, einem förmlichen Supermarkt von Ewigkeiten, meldet sich wohl auch ein anhaltendes Bedürfnis zu Wort. Die Misere des Lebens drängt nach Wiedergutmachung, Kompensation, metaphysischem Lastenausgleich. Das liebe Ich insistiert, unbelehrbar, wie es ist, auf Selbstbehauptung und Fortdauer. Und das nachvollziehbarste Motiv, selbst wenn man den Tod nicht für eine «Brutalität» (Hans-Jürg Braun) hält, der Tod der geliebten Anderen, weit mehr als der Eigentod, nährt den Schmerz der Trennung. Historische Typologie Aber man mag den Himmel auch gerne gelten lassen, wenn er sich so kurzweilig wie in dem Buch von Lang/McDannell darstellt. Es ist hochgelehrt, aber dem witzig pointierten Wort zugeneigt. Damit verstossen die Autoren allerdings auf das schwerste gegen ein Gebot, in dem sich bei einem Teil der Himmelsvorstellungen Drohung und Verheissung eigentümlich mischen Braun ist da weitaus gehorsamer: Im Himmel, unter den Bedingungen eines ewigen Sabbats, den ein nicht minder ewiges Halleluja allein liturgisch anreichert, muss es einfach langweilig zugehen, wenn man dem Irdischen, der Zeit und dem Wechsel entrückt sein will. In ihrem Versuch einer historischen Typologie ordnen Lang/McDannell diesen Himmel den theozentrischen, sich unablässiger Gottesschau erfreuenden Visionen zu. Sie sind die menschen- und weltfernsten, transzendentesten, aber deswegen auch die inhaltslosesten. Bei aller Liebe zur geistlichen Musik wird man sich mit ihnen schwerlich himmlisch fühlen. «Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen», hat schon Goethe gewusst. Man stelle sich eine ganze Ewigkeit davon vor! Lebendiger geht es in den anthropozentrischen Himmelsvorstellungen zu. Manche Visionäre nehmen gleich ihr ganzes hiesiges Inventar Häuser und Kleider, Haustiere und Sportgeräte, Sinfonieorchester und Lesezirkel in die Überwelt mit. Zumal in der schönen neuen Welt sieht der Himmel mit Fortschritt, Bewegung, Aktivität, Wachstum und ähnlich wünschenswerten Dingen perfekt so aus, als ob er nichts anderes als die schöne neue Welt wäre; um den Preis freilich, dass eine allzu grosse Lebensnähe des Himmels seinen Tod um so unausweichlicher herbeizuführen droht. Himmelstheozentriker haben gerade wegen der Blässe und Abstraktheit ihrer Vorstellungen auf die Dauer wohl die besseren Überlebenschancen. Es sei denn, man identifizierte von vornherein das Jenseits mit dem Diesseits, wie es die Wiedergeburtslehren tun. Aber dann wird an Jenseits und Unsterblichkeit auch nur noch dogmatisch-formell festgehalten in der Substanz konvergieren die scheinbar so entgegengesetzten Vorstellungen und Begriffe. Aber wo bleibt denn bei aller Kulturgeschichte des Himmels hier die Hölle? Eine Geschichte des ewigen Lebens, keineswegs deckungsgleich mit der des Himmels, hätte sie einzubeziehen. Braun tut das immerhin. Lang/McDannell streifen das heikle Thema, das die christliche Theologie seit je umgetrieben hat, gelegentlich; aber eine konsequente Einbeziehung des höllischen Gegenbildes hätte dem Buch nicht nur noch schärfere Konturen gegeben es hätte auch den Unterschied theozentrischer und anthropozentrischer Vorstellungen vom ewigen Leben relativiert. Denn die Inventarisierung der Hölle zeigt hinter allen fratzenhaften «diabolozentrischen» Vordergründen, auch hinter der abstrakten Vorstellung der Gottesferne allemal ein nur allzu menschliches Gesicht. Die Hölle und ihre Bewohner, das sind seit je «die andern», die die Menschen selber sind. Keine Höllenbeschreibung konnte deshalb jemals darauf verzichten, auf ausgesuchteste Grausamkeitsvorstellungen zurückzugreifen, deren Erfahrungsgehalt ganz und gar diesseitig ist. Den Himmel, gewiss, wollen immer noch viele. Das ewige Leben aber, selbst wenn man es wollte, bärge Risiken, deren grösstes, vielleicht ein wahrhaft höllisches, eben die ewige Fortführung des Lebens ist. Philosophischer, nicht ganz so negativ pastoral gesagt: Weder eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens noch eine Religionsphänomenologie des Jenseits kann an einer Philosophie des Todes vorbei, für die «Freund Hein» nicht unter allen Umständen der Übel grösstes ist. Ludger Lütkehaus